11 Mar 2020, Φ Coronavirus (II) und StadtGesundheit

11.3.2020 Coronavirus COVID-19 (Post II) und StadtGesundheit

Durch das Coronavirus COVID-19 beherrscht „Gesundheit“ gegenwärtig die Schlagzeilen der Medien; siehe bspw. Conradi M (SZ, 10.3.2020): „Land im Ausnahmezustand. Erste Tote in Deutschland, Kurssturz an den Börsen, Fußballspiele ohne Fans im Stadion und geschlossene Schulen. Wie das Coronavirus das Leben verändert“, www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-im-ausnahmezustand-1.4837899 und Uhlman B (SZ, 11.3.2020): „Die große Leere. Veranstaltungen in Deutschland und vielen Ländern werden abgesagt. Die Angst vor der Ausbreitung des Coronavirus lähmt das öffentliche Leben auf der ganzen Welt“.

Die aktuelle Popularität des Themas „Gesundheit“ gründet sich auf eine Epidemie mit rasch wachsenden Zahlen von Erkrankungs- und Todesfällen in zahlreichen Ländern der Erde. Sie ist mit Leiden, Einschränkungen und Verunsicherungen verbunden. Das volle Ausmaß der Folgewirkungen der Epidemie dürfte sich erst nach und nach abschätzen lassen.

Unabhängig davon illustrieren die letzten Wochen in dramatischer Weise, wie „Gesundheit“ in kürzester Zeit zu einem beherrschen Thema für Individuum, Gesellschaft und unterschiedlichste Lebensbereiche werden kann. Hier folgt eine provisorische Einordnung aus Sicht von StadtGesundheit, anknüpfend an die zwei ersten Bände unserer Edition „Nachhaltige Gesundheit in Stadt und Region“.

Schon jetzt ist erkennbar, dass diese COVID-19 Epidemie das ganze Spektrum unterschiedlicher Gesundheitsperspektiven (vgl. Editionsband 1, p.60ff): zum Tragen bringt:

  • biomedizinisch: hier stehen im Mittelpunkt Virologie, Hygiene, Diagnostik, Bemühen um Immunisierung und Therapie, Rolle von Alter und Co-Morbidität.
  • gesundheitssoziologisch: Auswirkungen der Epidemie betreffen diverse soziale und gesellschaftliche Einrichtungen, alle Lebenswelten, unterschiedlichste Zusammenkünfte und Unternehmungen; (amtliche) Empfehlungen werden ausgesprochen; Alternativen zur Präsenz am Arbeitsplatz werden in großem Umfang erprobt.
  • gesundheitspsychologisch: die Epidemie verursacht Sorgen und Ängste – um eigene Gesundheit, um Familienangehörige und befreundete Personen; sie beeinflusst u.a. das persönliche (Hygiene-) Verhalten, Ortsbewegung/Reiseverhalten, Bevorratung; zu mehreren dieser Aspekte liegen ebenfalls (amtliche) Empfehlungen vor.
  • gesundheitsökonomisch: Diagnose-/Behandlungs-/Versorgungkosten lassen sich noch nicht abschätzen; die wirtschaftlichen Folgewirkungen, u.a. durch Produktionsausfälle, werden bedeutend sein.
  • human-ökologisch: diese integrierende Gesundheitsperspektive versucht, dem komplexen und fragilen Verhältnis zwischen Mensch, Gesundheit und Umwelt gerecht zu werden. Ausdrücklich geht es bei diesem Ansatz auch um „die vielfältigen Folgewirkungen von Gesundheit und Krankheit auf den einzelnen Menschen, seine Umwelt und die Gesellschaft“ (pp.66-67).

Dieser humanökologische Blick auf Gesundheit und Krankheit, der ja auch der bekannten Ottawa-Charta von 1986 zugrunde liegt, liefert die Grundlage für (Nachhaltige) StadtGesundheit. Er dürfte auch helfen, die verschiedenen Dimensionen der COVID-19 Epidemie und die Wucht ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft zu verstehen.

Stadtsektoren, Gesundheit und Nachhaltigkeit

Konstituierende Elemente von Nachhaltiger StadtGesundheit sind Blickfelderweiterung und Brückenbau. Unter der Überschrift Blickfelderweiterung liegt besonderes Augenmerk auf den Stadtsektoren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet in diesem Sinne das Konzept „Gesundheit in allen Politikbereichen“ („Health in all Policies“). Dieses wird oftmals allein auf die förderlichen oder hemmenden Einfl üsse bezogen, die die unterschiedlichen Politikbereiche auf die Gesundheit der Bevölkerung haben. Was hier fehlt sind die Auswirkungen von (eingeschränkter) Gesundheit für Bereiche wie Bildung, Arbeit und Mobilität. Die Verflechtung von Gesundheit mit allen Politikbereichen gilt real in beiden Richtungen: auf Gesundheit und von Gesundheit (Fehr & Hornberg 2017). Die Stadtsektoren mit ihren unterschiedlichen „Policies“ üben einerseits vielfältige Einflüsse auf Gesundheit aus und bekommen gleichzeitig die Auswirkungen gesundheitlicher Einschränkungen zu spüren.

Bd01_p139Im Editionsband 1 ist in der umfangreichen Tabelle 6.1 (pp.139-141) exemplarisch angesprochen, wie sich Gesundheit (und ihr Fehlen) auf Stadtsektoren auswirken kann. Hier ist die Vielfalt der Bezüge zu den 18 dargestellten Sektoren deutlich erkennbar. Die aktuelle COVID-19 Epidemie macht klar, wie außerordentlich weitreichend diese Auswirkungen sein können, u.a. für die (dargestellten) Stadtsektoren Arbeitswelt, (Stadt-)Ökonomie, Bildung und Erziehung, Freizeit, Justiz, Kommunikation, Soziales, Sport, Verbraucherschutz und Verkehr.

Im Editionsband 2 kommen u.a. Öffentlicher Gesundheitheitsdienst (Kap. 3.4), Hafen- und Flughafenärztlicher Dienst (in Kap. 3.5) und Präventive Infekt(i)ologie (Kap. 6.7) zur Sprache. Das Gesundheitsamt „setzt … Bundesgesetze wie das Infektionsschutzgesetz um und stellt bei infektiösen Lagen … nicht nur den ersten Ansprechpartner dar, sondern trägt auch zur Krisenbewältigung bei … Der Bereich des Infektionsschutzes stellt einen elementaren Bestandteil im Aufgabenspektrum eines Gesundheitsamtes dar” (p.137). Im hafen- und flughafenärztliche Dienst ist es „notwendig, … neue Infektionserreger wie SARS … zu erkennen“ (p.147). „Infektionskrankheiten sind wegen ihrer Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch (oder auch von Tier zu Mensch) traditionell besonders gefürchtet, tragen auch in Europa weiterhin zur Krankheitslast bei und dürften diese Rolle ungeachtet gewisser Verschiebungen in absehbarer Zukunft nicht verlieren“ (p.315).

Vorläufiges Fazit:

  • Infektionskrankheiten bleiben ein ernstzunehmendes Thema für die Menschheit; von einer vollständigen Verdrängung durch chronische Krankheiten kann (auch z.B. in Mitteleuropa) nicht die Rede sein. Programme der Prävention, Gesundheitsförderung und -bildung sowie StadtGesundheit benötigen auch infektionsprophylaktische Elemente.
  • Eine Epidemie wie diese COVID-19 bezogene kann für das Versorgungssystem zur bedeutenden Herausforderung werden, u.a. durch Erkrankung (oder auch nur Quarantäne) von medizinischem und Pflegepersonal sowie durch Schließung von Kindergärten und Schulen mit Folgewirkungen auch für kritisch benötigtes Personal.
  • Eine integrierende, human-ökologische Gesundheitsperspektive, wie sie der Konzeption von StadtGesundheit zugrunde liegt, kann helfen, die vielfältigen gesellschaftlichen Auswirkungen der CORVID-19 Epidemie zu verstehen. Gleichzeitig gibt diese Epidemie Anlass zum „Nacharbeiten“, bspw. zur weiteren Verdeutlichung der Auswirkungen von fehlender bzw. gefährdeter Gesundheit auf die Gesellschaft.

Lit.

  • Fehr, R., Hornberg, C. (2017): Brückenbau für Nachhaltige StadtGesundheit. „Stadtpunkte-Thema“ der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Gesundheitsförderung (HAG): „Gesundheitsförderung und Prävention in der Kommune“, Ausgabe 02, Nov. 2017, pp.3-5, hag-gesundheit.de/uploads/docs/1687.pdf
  • Fehr R, Hornberg C (Hrsg.) (2018): Stadt der Zukunft – Gesund und nachhaltig. Brückenbau zwischen Disziplinen und Sektoren. Edition Nachhaltige Gesundheit in Stadt und Region, Band 1. Oekom Verlag, München, ISBN 978-3-96238-074-8, oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/nachhaltige-stadtgesundheit-hamburg.html, mit Kapitel 6: Nachhaltige StadtGesundheit als “Blickfelderweiterung” und “Brückenbau” (pp.131-167)
  • Fehr R, Trojan A (Hrsg.) (2018): Nachhaltige StadtGesundheit Hamburg. Bestandsaufnahme und Perspektive. Edition Nachhaltige Gesundheit in Stadt und Region, Band 2. Oekom Verlag, München, ISBN 978-3-96238-059-5, oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/nachhaltige-stadtgesundheit-hamburg.html