21.10.2021, Jean Paul (1793/1977): Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal – Eine Art Idylle
Reclam-Universalbibliothek Nr. 119. Mit Anmerkungen und einer biographischen Notiz. Philipp Reclam Jun., Stuttgart. (Der Text dieser Ausgabe folgt: Jean Pauls sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Erste Abteilung. Zweiter Band. Herausgegeben von Eduard Berend. Weimar: Bölau, 1927)
- p.4-5 Im Dezember … ließ er allemal das Licht eine Stunde später bringen, weil er in dieser Stunde seine Kindheit – jeden Tag nahm er einen andern Tag vor – rekapitulierte …
- p.7 … daß Wutz eine ganze Bibliothek – wie hätte der Mann sich eine kaufen können? – sich eigenhändig schrieb. Sein Schreibzeug war seine Taschendruckerei …
- p.10 Woll‘ er mithin etwas Gescheites lesen, z.B. aus der praktischen Arzneikunde und aus der Kranken-Universalhistorie: so müss’ er sich … den Bettel ersinnen.
- p.13 „Abends“, dacht’ er, „lieg ich auf alle Fälle, sie mögen mich den ganzen Tag zwicken und hetzen, … unter meiner warmen Zudeck …, acht Stunden lang.”
- p.26 Ich erwarte von seinem künftigen Lebensbeschreiber ein paar pragmatische Fingerzeige, warum Wutz bloß ein Einnahme- und kein Ausgabe-Buch sich nähte …
- p.42 … von seiner Kindheit an ein Reichsgrundgesetz bei ihm …, alle seine Spielwaren in geschichtlicher Ordnung aufzuheben, … so konnt’ er noch am Rüsttage vor seinem Todestage … sich zurückfreuen, da er sich nicht mehr vorauszufreuen vermochte.
- p.49-50 Wohl dir, lieber Wutz, daß ich, wenn ich nach Auenthal gehe und dein verrasetes Grab aussuche … , daß ich dann sagen kann: „Als er noch das Leben hatte, genoß er’s fröhlicher wie wir alle.“
Werk, https://de.wikipedia.org/wiki/Leben_des_vergn%C3%BCgten_Schulmeisterlein_Maria_Wutz_in_Auenthal: … eine Erzählung von Jean Paul, die, 1790 geschrieben, im Januar 1793, in den Roman „Die unsichtbare Loge“ eingelegt, erschien …
Volltext: www.projekt-gutenberg.org/jeanpaul/loge/loge56.html
Jean Paul, https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Paul: [1763-1825] … eigentlich Johann Paul Friedrich Richter … Sein Werk … literaturgeschichtlich zwischen … Klassik und Romantik. Die von ihm gewählte Namensänderung geht auf … große Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau zurück … verfügte im Alter von fünfzehn Jahren über ein umfangreiches Bücherwissen, das er in Exzerptheften zusammentrug … hat das Lesepublikum … gespalten. Bei den einen erntete er höchste Verehrung, bei anderen Kopfschütteln und Desinteresse … trieb die zerfließende Formlosigkeit des Romans der Romantiker auf die Spitze; August Wilhelm Schlegel nannte seine Romane „Selbstgespräche“, an denen er den Leser teilnehmen lasse … Vielzahl witziger und skurriler Einfälle … geprägt von wilder Metaphorik sowie … teilweise labyrinthischen Handlungen …sein Verhältnis zu … Goethe und Schiller immer zwiespältig … Herder und Wieland allerdings haben ihn geschätzt und unterstützt … nennt Jean Paul das literarische Motiv des „Doppelgängers“ … als erster beim Namen und prägt es somit …
Walter Kappacher (SZ, 21.3.2013, S.14): Der Geisterseher … eine Erinnerung an Jean Paul aus Anlass seines 250. Geburtstags.
Er komme ihm vor wie ein „Chinese in Rom“ hatte Goethe ihn bespöttelt und seinen Stil als “verzopft und verstopft” bezeichnet. Schiller … äußerte: Das sei ein Fremdling, einer ,,der aus dem Mond gefallen sei” … Die beiden … Klassiker mieden den ,,verrückten und ungebildeten“ Kerl; es war auch nicht zu übersehen, dass der ,,Hesperus” mehr gelesen wurde als der ,,Wilhelm Meister”. Aber Jean Paul gewann Herder zum Freund und Lehrer … Wieland und Lichtenberg schätzten den jungen Kollegen ebenfalls … Er ahnte die kommenden fundamentalen Erschütterungen seiner und unserer Welt … Ihm selbst war alles, was er schrieb, „innere Autobiographie“ … „Selberlebensbeschreibung“ … Arno Schmidt las gerne abends sich und seiner Frau aus Jean Pauls Werken vor. Sein unerschöpflicher Gedankenreichtum, sein sprachlicher Reichtum: ein Überfluss – manchmal auch eine Manier, welcher der Leser kaum folgen kann …
Tobias Schwartz (Taz, 21.3.2013, S.17): Wie aus dem Mond gefallen. Klassiker. Der Schriftsteller Jean Paul war ein Postmoderner der Goethezeit …
Jean Paul … gilt heute noch als schwieriger und intellektuell verstiegener Autor. Da ist auch was dran. Seine Bücher sind in der Regel handlungsarm, kryptisch oft und zu einem wesentlichen Teil nicht abgeschlossen … Wutz schreibt sich die Bücher selbst – und erfindet kurzerhand den Inhalt. So stehen am Ende neben einer ,,Kritik der reinen Vernunft” Marke Eigenbau auch ,,Werthers Freuden” im Bücherschrank: Der frühe Entwurf einer Demokratisierung des Wissens, wie sie sich in digitalen Zeiten des Internets sukzessive verwirklicht …
Vgl. 14.12.2013, Jean Paul: Dintenuniversum – Schreiben ist Wirklichkeit
Inkl. Scribomanie